Sonntag, 2. September 2018
Lennart
Ich grüße dich, neues Schuljahr. Oder eher, letztes Schuljahr. Scheiße, schon..
Lennart, er ist neu in der Klasse, wiederholt. Er ist ca 1,85 groß, trägt seine braunen Haare gebunden mit einem Zopf und ist recht schlank. Sein alter hat er mir mal gesagt, habs aber nicht richtig verstanden und nicht mehr nachgefragt, weils mir doch eher egal ist. Irgendwas mit 20. Vielleicht 23 oder 25. Er sieht aus wie Tom, aus dem Buch vergessene Kinder. Die zweite Schulwoche ging eben vorbei und seit wenigen Tagen höre ich nicht auf, Sexträume von ihm zu haben. Wir hatte mal als Aufgabe, ein Zimmer aus unserem Zuhause perspektivisch zu zeichnen. Er nahm sein Schlafzimmer und regte meine Fantasie nur noch mehr an. Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam. Wahrscheinlich diese kleinen Momente, die sich zu einem Charakter vereinen und einfach nur Intelligenz, Bodenständigkeit, Aufrichtigkeit und Lebenslust ausstrahlen. Vielleicht auch gar nicht so extrem, aber mehr als was ich sonst in meinem Jahrgang finden kann.

Wir lesen gerade Emilia Galotti und erarbeiten uns Zeugs über Aufklärung, Kant,.. und so. Nein, ich habe ganz sicher keinen Kopf dafür. Schlimm genug, dass ich mit meiner Deutschlehrerin nicht gerade harmoniere. Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die verschiedene Texte bearbeiten soll. Wir sollten Lernplakate erstellen und daraus Quizfragen kreieren. Er saß in der letzten Reihe, ich mittig, ziemlich genau vor ihm. Er fragte in die Klasse, wer Gruppe 2 sei. Ben und Oskar meldeten sich vorne am Tisch, ich auch, mit der Freude zu wissen, er ist in der gleichen Gruppe. Es war ruhig, alle waren dabei die Texte zu lesen. Er tauchte rechts neben mir auf, platzierte seine Arbeitsblätter auf dem Tisch, schob den Stuhl nach hinten und setzte sich. Ich war ein bisschen verwirrt.. ich mein, toll dass er da ist, aber nicht entsprechend der Aufgabenstellung. ''Bist du fertig?'' fragt er mich. Ich atme tief ein, drehe das Textblatt um, wo noch nichts markiert ist und sage zu ihm ''..gleich''. Er lächelte.
Ich verstand den Text eh nicht wirklich und wollte ihn nicht warten lassen. Also wand ich mich vom Text ab und schaute aufs Aufgabenblatt. Dort stand glaube ich, dass wir unsere Ergebnisse erst später vergleichen würden. ''Sollen wir die Plakate zusammen machen?'' frage ich ihn. Er harkt nochmal bei Frau K nach, die ihm bestätigt, dass jeder für sich die Plakate macht. Er stand auf, nahm seine Blätter und sagte amüsiert ''War schön hier''.
Wir verglichen dann am Tisch von Oskar und Ben, während Frau K uns Inhaltlich unterstützt. Lennart beantwortete einige ihrer Fragen. Ich hörte nur halb zu, wie sie über das 18. Jahrhundert und Joseph von Preußen sprachen, aber es wäre so viel schöner, wenn nur er den Unterricht halten würde.

Mit Freundinnen aus der Klasse, planen wir im Oktober einen Harry Potter Marathon. Wir diskutierten, welcher Teil persönlich der liebste wäre. Irgendwer sagte auch, er wäre kein Fan von Harry Potter. Lennart fand das unerhört. Julia mag den 3., Maria den 1. Ich mag den 4. ziemlich gern. Er den 5. wegen Umbridge. Zu blöd dass er nicht dabei ist. Wär ne super Gelegenheit.

Und dann war da noch dieser Wettbewerb vom letzten Jahr. Das Abschlussjahr hat was entworfen und wurde dafür platziert. Wir, die im 2. Jahr, sind die Publikumsjury. Wir hatten alle einen Punkt, den wir vergeben sollten. Lennart stand damals an seinem Plakat. Ich weiß noch, wie ich an ihm vorbei gelaufen bin und fand, er sähe nicht sympathisch aus. Ich kannte jemanden aus einer anderen Gruppe und hab ihm ein paar Sympathiepunkte aus der Klasse gegeben, weil niemand das wirklich ernst genommen hat. Ich weiß nicht, wie unterschiedlich die Punktzahl am Ende war, aber meine Sympathiegruppe hat gewonnen und Lennart wurde zweiter. Ich sagte ihm auch, dass ich ein bisschen gefalscht habe.. er war nicht erfreut, aber ich fands ganz lustig.

In der ersten Woche, am Donnerstag wählten wir die Klassensprecher. Julia und ich hatten schon ausgemacht, das übernehmen zu wollen und uns keine Konkurrenz erwarten würde. Lennart sitzt ganz hinten, mit dem Rücken zu den Lehrern. Links daneben Lena und neben ihr Jules. Ich bin in der hinteren Mitte. Links von mir habe ich als Sicht auf Lennart und was er so am PC macht (meistens spielt er irgendein online Spiel, wo man fragen beantwortet, was ganz lustig sein soll). Frau J fragte in die Klasse, wer gern Klassensprecher vorschlagen oder sein wollen würde. Ich zögerte etwas, um zu beobachten, was sich in der Klasse tut. ''T, meld dich!'' flüstert mir Julia laut zu. Lennart meldete sich. Frau J nahm Julia dran. ''Wollen sie jemanden vorschlagen oder Klassensprecher sein?'' ''Ich wäre gern Klassensprecher'' sagte sie etwas ungewiss, auf eine verpeilte niedliche Art. Lennart und ich folgten mit einer ähnlichen Antwort. ''Wir hätten uns gegenseitig vorschlagen sollen'' sage ich zimmerlaut zu Jules. ''Wollen sie das vielleicht alle zusammen machen?'' Die Frage kam ziemlich plötzlich, weil wir das nie so gehandhabt haben. ''Ja, klar!'' sage ich enthusiastisch.

Und wenige Tage davor, kam ich recht pünktlich zur Schule. Er saß allein auf der Bank im Flur und hörte Musik. Als er mich kommen sah, nimmt er die Kopfhörer ab und begrüßt mich. Ich setze mich neben ihn und er erzählte mir, dass allen in der WG vom Sushi am Vorabend schlecht geworden war. Ich erzählte ihm vom Unterricht und fragte ob er schon in der Klassengruppe sei. War er nicht. Er sagte mir seine Nummer an und fügte ihn am Abend ein. Weil wir in der Klasse bereits einen Lennard mit D haben, nennen wir ihn Lennart mit T. So habe ich ihn auch eingespeichert. Er grinste.

Auf dem Hof wurde ein Stand aufgebaut. Keiner wusste wirklich wieso. Die Vermutung lag bei der alljährlichen Blutspendeaktion, die hautnah in der Schule stattfindet. Man liegt dann im EG, gleich neben der Cafeteria auf einer Trage während man rotes Alienzeug in einen Beutel befördert. Wenn D., Jules und Lennart zum rauchen raus gehen, begleiten wir sie meistens. Als das Thema Blutspenden aufkam, war er total gewillt das sofort zu tun. Jules darf aus gesundheitlichen Gründen nicht. Ich.. darf es erst seit kurzem (ja schon zu lange inzwischen) und hab nicht viel drüber nachgedacht. Ich zögerte.. natürlich gibt es nur Argumente, die dafür sprachen. Außer Nadeln wären ein Problem. Andernfalls ist es wenns nach mir geht, Faulheit und Egoismus. Und Paranoia, die besagen, dass aus der DNA Klone gezüchtet werden, die die Welt unter Dr. Drakken's und Shego's Herrschaft zerstören. ''Kommt jemand mit?'' fragt er in die Runde. ''Mit zum Stand, ja'' sage ich. ''Ja klar''. Wir gehen vor, die anderen weiter hinter uns. Wir sahen durch die Glasfenster in die Räume, wo es immer stattgefunden hat, aber keine Liegen. Kein Blut. Nichts. Als wir dem Stand näher kamen, schien es etwas ganz anderes gewesen zu sein. Bedauerlich. Wieder im Unterricht angekommen, träumte ich davon, wie wir auf den Liegen sind, sie zusammen schieben um näher beieinander zu sein. Und er, wie er meine Hand hält, weil ich so nervös bin. Beste gute Tat ever.

Letzten Donnerstag und Freitag fehlte er. Unterricht war lange nicht mehr so langweilig. Er ist süß. Auf den ersten Blick eigentlich nicht mein Typ, auf den zweiten, schon eher. Ich bin nicht verknallt und hab das auch nicht vor, aber.. ich hätte gern mal wieder Spaß. Das Jahr ist so gut wie vorbei. Wenn das nicht ideal endet, wäre das nicht mal tragisch.
Ich will niemandem falsche Hoffnung machen. Vielleicht bleibt er für immer ein Gedankenfussel. Nachdem seine Nummer in der Gruppe war, war Julia neugierig, wie er sich sein ganzes technisches Wissen angeeignet hat. Also schrieb sie ihn an, und seit dem haben sie glaube ich nicht wirklich aufgehört zu schreiben. Die zocken irgendwas miteinander.
Letztens in der Pause draußen, fuhr Skaterboy auf einem Fahrrad an uns vorbei. Der Skaterboy, der vor einem Jahr bereits seinen Abschluss machte. Der wohl schönste Mensch, den ich je gesehen habe. Ich sah ihm absolut eindeutig hinterher, als Lennart neben mir stand. ''Kanntest du den auf dem Fahrrad?'' fragte ich ihn. Kleiner Denkfehler meinerseits. Ich dachte sie wären in einem Jahrgang gewesen, aber er war früher fertig. Er verneinte und mir viel ein ''Stimmt, er war in der [..] Klasse''. ''Das war Skaterboy'' sage ich positiv zu Jules, die gleich ein einleuchtendes ''Ahh'' herausbrachte und nickte.
Ich schätze es mal auf ein relativ gesundes 'jemanden gut finden' ein.